Geschrieben von Wirtschaftsjournal / Fahlenkamp.
In Deutschland werden jährlich ungefähr 40.000 operative Eingriffe wegen einer Harnröhrenenge durchgeführt. Der Gewebeersatz mittels autologer Zelltransplantation könnte eine Alternative zu herkömmlichen Methoden liefern. Prof. Dr. Dirk Fahlenkamp, Chefarzt der Urologischen Klinik an den Zeisigwaldkliniken Bethanien Chemnitz, erläutert im Gespräch mit dem Wirtschaftsjournal, was es damit auf sich hat.
Wirtschaftsjournal: Was verbirgt sich hinter dem Begriff der autologen Zelltransplantation?
Prof. Dirk Fahlenkamp: Von der Urologin Dr. med. Gouya Ram-Liebig wurde ein weltweit einmaliges Verfahren zur Rekonstruktion der Harnröhre entwickelt. Gewebedefekte der Harnröhre werden bisher durch Transplantation von Mundschleimhaut behoben. Dafür wurde früher Gewebe in der benötigten Größe bei den Patienten entnommen. Dank dieser neuen Technik ist es möglich, aus einer Probe mit einer Größe von einem Viertel eines Ein-Cent-Stücks das Gewebe im Labor herzustellen.
WJ: Wie werden die Transplantate hergestellt?
Prof. Fahlenkamp: Die Firma MukoCell GmbH in Dresden stellt das erste Tissue Engineering1 Produkt mit dem Namen MukoCell® her. Bei der ingenieurstechnischen Gewebeherstellung reichen ein paar lebende Zellen aus, um daraus ein Gewebe zu züchten. Dazu werden die entnommenen Zellen des Patienten aus der Biopsie isoliert, expandiert und auf der Oberfläche einer biologischen Trägersubstanz kultiviert. Unter sterilen Bedingungen wächst das Gewebe innerhalb von 21 Tagen in hoch standardisierten Reinraumlaboratorien bis zur individuell benötigten Größe. Im Anschluss wird das Transplantat für den Patienten in ein steriles Behältnis verpackt und an die Klinik versandt.
WJ: Was zeichnet das im Labor hergestellte Transplantat im Gegensatz zu herkömmlichen Transplantaten aus?
Prof. Fahlenkamp: Das autologe Zelltransplantat ist in Größe und Form gut anpassbar, widerstandsfähig gegen Urin und mechanisch stabil. Ursache dafür ist die biologische Trägersubstanz, die dem Gewebe eine höhere Elastizität verleiht. Sie wird mit der Mundschleimhaut verpflanzt und in vier bis acht Wochen im Körper abgebaut. Zudem verbindet sich das Transplantat nach der Implantation innerhalb kurzer Zeit mit dem umliegenden Gewebe und entwickelt sich zu einer voll funktionsfähigen Harnröhre. Bereits bei 15 Patienten wurde der Eingriff in Chemnitz erfolgreich durchgeführt. Bundesweit wurden bereits über 50 Patienten an spezialisierten Zentren erfolgreich mit MukoCell behandelt.
WJ: Worin liegen die Vorteile der neuen Technologie für die Patienten?
Prof. Fahlenkamp: Das autologe Transplantat, also die Transplantation der lebenden Zellen, ist eine Alternative zu traditionellen Transplantaten, da die Gewebeentnahme weitestgehend schmerz- und komplikationsfrei verläuft. Früher mussten in einer großen Operation unter Narkose bis zu 20 Zentimeter Mundschleimhaut entnommen werden, je nach dem, wie groß der Gewebedefekt der Harnröhre ausfiel. Die große Wunde verheilte meist nur langsam. Komplikationen wie Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Narben, Schwierigkeiten beim Sprechen, Essen und Trinken waren mit der Entnahme von großen Segmenten von Mundschleimhaut assoziiert. Jetzt reicht eine Gewebeprobe von der Größe eines Reiskorns, die ambulant und unter lokaler Anästhesie entnommen wird, das heißt der operative Eingriff entfällt. Die oben genannten Komplikationen fallen aus. Zudem kommt hinzu, dass die neue Methode nur eine geringe Rückfallquote zulässt. Schätzungsweise 5.000 bis 10.000 Patienten könnten so pro Jahr von einem autologen Transplantat profitieren.
WJ: Gibt es weitere Anknüpfungspunkte, für die sich dieses Verfahren eignen würde?
Prof. Fahlenkamp: Es sind durchaus weitere Einsatzgebiete in der Urologie denkbar. So könnten Harnblasendefekte zum Beispiel weitere Indikatoren darstellen. Hierfür wird allerdings ein dehnbares Gewebe benötigt, was die bisherige Forschung vor eine große Herausforderung stellt.
1 Tissue Engineering (engl. Gewebekonstruktion bzw. Gewebezüchtung) ist der Überbegriff für die Herstellung biologischer Gewebe durch die Kultivierung von Zellen, um damit krankes Gewebe bei einem Patienten zu ersetzen oder zu regenerieren. Hierfür werden dem Spender- Organismus Zellen entnommen und im Labor vermehrt. Anschließend werden sie dem Empfänger retransplantiert.
Gespräch: Stefanie Rudolph, Wirtschaftjournal in Sachsen, 12/57.
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